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Schweiz Tourismus lanciert die Grand Tour of Switzerland

Nicht nur für Touristen – auch für Schweizer bietet die neue Route durch die Schweiz die Möglichkeit, unbekannte Ecken des Landes zu entdecken. Eine viertägige Testfahrt.

Bei Schweiz Tourismus spricht man von der «wichtigsten touristischen Innovation seit langem». Sie auszuarbeiten, dauerte zwei Jahre, und das Werbebudget beträgt 30 Millionen Franken. Das Routennetz – in einem Reiseführer, in Broschüren und auf einer Strassenkarte beschrieben – ist 1600 Kilometer lang. Und der Name klingt entsprechend: Grand Tour of Switzerland. Die Grand Tour war ab dem 16. Jahrhundert die obligate mehrjährige Bildungsreise von Sprösslingen der europäischen Upperclass durch europäische Kulturländer. Die Schweiz spielte eine untergeordnete, unangenehme Rolle wegen der miserablen Infrastruktur und der mühsamen Alpenquerung.

Mit all dem hat die Grand Tour von Schweiz Tourismus nicht viel gemein. Es handelt sich vielmehr um eine Einladung, das Land zu erkunden – und zwar per Auto oder Motorrad. Dass Grüne und der VCS da protestieren, liegt auf der Hand. Obwohl es für Bahnbegeisterte ein Parallelprogramm gibt: Die Grand Train Tour of Switzerland. Allerdings ist unser Land für den sogenannten Langsamverkehr bestens erschlossen. Doch fast gäbe man den Kritikern schon vor der ersten Etappe recht: Auf der Anfahrt nach Basel ist die A 2 ab Pratteln verstopft. Es braucht gehörig Geduld, bis man am Startpunkt, dem Hotel Teufelhof, angekommen ist.

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Für die Erkundung Basels lässt man das Auto natürlich in der Garage. Die Stadt verfügt über 40 Museen. Ich entscheide mich, nachdem ich mich am Tinguely-Brunnen vor dem Stadttheater entschleunigt habe, zu einem Besuch des Tinguely-Museums unten am Rhein. Dem Meister der klappernden Schrottmaschinen ist hier ein adäquates Denkmal gesetzt worden. Auch das St.-Alban-Quartier, nicht so bekannt wie Barfüsserplatz, Münster, Fasnacht und Fährimaa, lohnt einen Besuch. Es wird von Kanälen durchzogen. Die Zeugen des traditionellen Handwerks und der Industrialisierung sowie Fachwerkhäuser und die mittelalterliche Papiermühle sind restauriert; moderne Bauten und das Museum für Gegenwartskunst setzen zeitgenössische Akzente. Basel ist,neben Genf und Chiasso, eines der drei vorgeschlagenen «Einfalls­tore». Von hier aus fahre ich das Laufental hinauf Richtung Delsberg. Laufen mit seiner Altstadt, drei Stadttoren und einer teilweise erhaltenen Stadtmauer ist einen Stopp wert. Da ich vor allem Orte besuchen möchte, die mir nicht bekannt sind, brause ich im geliehenen Audi mit eher unkeuschen Geschwindigkeiten, den Wind im gelichteten Haar, am jurassischen Hauptort Delsberg vorbei durch die hügelige Landschaft nach St. Ursanne am Doubs – romanisch-gotische Stiftskirche, Stadttore, enge Gassen, Häuser aus dem 14. bis 16. Jahrhundert und eine alte Brücke sind hier die Sehenswürdigkeiten.

Eine gereinigte Höhle

In den Freibergen geht der Dichte­stress vergessen, bis sich La Chaux-de-Fonds nähert, der grösste Ort des Kantons Neuenburg mit knapp 40 000 Einwohnern. Le Corbusier stammt von hier und baute im Jura seine ersten Häuser, bevor er 1917 nach Paris zog. Es ist zudem, zusammen mit Le Locle, die wichtigste Uhrenstadt und trumpft mit einem üppig bestückten Uhrenmuseum auf. Wenige Tage vor meinem Besuch war es überfallen worden, so wie man es von der Zürcher Bahnhofstrasse kennt: die Eingangstür mit einem Auto gerammt. Die verbogenen Metallrahmen lehnen noch an einer Mauer neben dem Eingang; dieser ist mit Pavatexplatten vermacht.

Jenseits von Le Locle besuche ich die exklusivste Attraktion der Gegend: In Le Col-des-Roches liess Jonas Sandoz, Steuereintreiber, Friedensrichter und ein Vorfahre der Basler Pharmadynastie, in den 1660er-Jahren an einem unterirdischen Wasserfall fünf Wasserräder einbauen, welche Getreidemühlen, eine Dresch- und eine Ölmühle sowie ein Sägewerk antrieben. Nach einer bewegten Geschichte, in deren Verlauf die Höhlen auch mit Tierkadavern und Schlachtabfällen gefüllt wurden, machte sich 1973 eine Gruppe von Enthusiasten daran, die Höhlen zu reinigen und die Mühlen teilweise zu restaurieren. Entstanden ist ein lebendiges Museum der frühen Industriegeschichte.

Nun fahre ich Richtung Vue des Alpes, Übergang zwischen La Chaux-de-Fonds und dem Kantonshauptort Neuenburg. Es ist später Nachmittag, und über die Nebenstrassen, von denen man sich Leere erhofft hat, kriechen lange Autoschlangen: Tausende Grenzgänger drängen Richtung Frankreich. Auch auf der Vue des Alpes wartet eine kleine Enttäuschung: Das angeblich spektakuläre Alpenpanorama verbirgt sich hinter einer Wolkenfront. Umso beruhigender ist die Aussicht aus dem Fenster des eleganten Fünfsternhotels Beau-Rivage unten in Neuenburg: In der Abendsonne kräuseln sich die Wellen des Sees.

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Murten ist bekannt, seit Karl der Kühne von Burgund hier 1476 die zweite seiner drei Schlachten gegen die Eidgenossen verlor. In die Schlagzeilen kam das Städtchen erneut, als Stararchitekt Jean Nouvel für die Expo.02 einen rostigen Kubus im See platzierte. Die begehbare Ringmauer bietet die beste Sicht auf Altstadt, Schloss und See. Der Rückweg führt am deutschen Pfarrhaus vorbei, wo der Schriftsteller Albert Bitzius (1797–1854) geboren wurde, besser bekannt als Jeremias Gotthelf.

Nächstes Etappenziel ist Greyerz oder Gruyères, das mittelalterliche Städtchen mit Schloss, von Touristen überrannt, die hier ein Fondue essen und sich mit Selfies verewigen wollen. Das Tibet-Museum mit einer umfangreichen Sammlung von buddhistischen Skulpturen, Malereien und rituellen Gegenständen und das Museum des fantastischen Realisten H. R. Giger (1940–2014) liegen nebeneinander. Zu sehen sind viele von Gigers verstörenden Werken, dazu seine private Sammlung vorwiegend zeitgenössischer Kunst.

Das Mekka der Touristen

Weiter gehts das waadtländische Pays d’Enhaut hinauf, vorbei an Château-d’Œx über die Sprachgrenze ins Saanenland. In Saanen wartet das Hotel Spitzhorn auf den müden Grand-Tour-Tester, das die «SonntagsZeitung» Ende 2014 zum besten Dreisternhaus der Schweiz erkor. Pächter Michel Wichmann bringt die Philosophie des einladenden Chalets auf den Punkt: «Ein Dreisternhotel mit Viersterninfrastruktur und Fünfstern-umgebung.»

Hinunter durchs Simmental und den Thunersee entlang kommt man am nächsten Tag ins Mekka der indischen, chinesischen und arabischen Touristen: Interlaken. Auf der andern Seeseite führt die Route zurück nach Thun, wo sich ein Besuch des ältesten erhaltenen Panoramabildes der Welt aufdrängt, das der Basler Künstler Marquard Wocher von 1809 bis 1814 fertigte. Das siebeneinhalb Meter hohe und 38 Meter lange Gemälde war für lange Zeit in Vergessenheit geraten. Ende der 1950er-Jahre wurde es restauriert und ist seit 1961 in einer Rotunde im Schaudaupark wieder zugänglich.

Eigentlich sähe mein Programm nun die Weiterfahrt nach Bern, Burgdorf und Lützelflüh vor, wo Jeremias Gotthelf als Pfarrer wirkte und zahlreiche seiner Werke schrieb. Stattdessen erlaube ich mir eine Abkürzung über den Schallenberg, wo man als Autofreak gern aufs Gaspedal drückt, durch das Unesco-Biosphärenreservat Entlebuch zurück nach Luzern. Die Stadt, ins leuchtende Rot eines üppigen Sonnenuntergangs getaucht, rundet die Grand Tour ab. Viele Facetten der Schweiz wären mir ohne die vier Tage entgangen. Weitere sollten folgen.

Die Reise wurde unterstützt von Schweiz Tourismus und Amag Bern. (Tages-Anzeiger)

(Erstellt: 03.06.2015, 23:55 Uhr)